„Ich predige, als ob Christus gestern gekreuzigt worden wäre, heute auferstanden wäre und morgen wieder auf die Erde kommen würde.“ (Martin Luther)

Freitag, 22. November 2019

Ein Hirn wie ein Sieb

Es ist einige Jahre her, dass mir ein guter Freund erzählte, wie er eines Sonntags in einer Kirche war und der Pastor ihn spontan fragte, ob er nicht predigen wollte. Etwas ungemütlich druckste er herum. „Es kann ja einfach etwas aus deiner ‚Stillen Zeit’ sein,“ meinte der Pastor. Das Problem war nur, dass mein Freund sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte, was er morgens gelesen hatte.

Geht es uns nicht auch oft so? Ich bekenne es freimütig. Wenn es nicht gerade ein kleiner Blitzeinschlag am Morgen war, muss ich schon am Abend scharf nachdenken, um mich zu erinnern. Also kann man es doch ganz sein lassen, oder? Wenn das, was ich in der Stillen Zeit lese, mich nur so kurz beschäftigt, dann kann es wohl kaum etwas bewirken, richtig?  Mir fiel diese Kurzgeschichte von Rosemarie Harpert* in die Hände, die uns zu einer Antwort verhilft.

Am Rande der Wüste lebte ein Eremit. Ihn besuchte eines Tages ein junger Mann, der ihm sein Leid klagte. Ich lese so viele heilige Texte, sagte er, ich vertiefe mich in die Schönheit der Worte, ich möchte sie alle festhalten und als einen Widerschein der ewigen Wahrheit in mir bewahren. Aber es gelingt mir nicht, ich vergesse alles. Ist nicht die mühevolle Arbeit des Lebens umsonst?

Der Eremit hörte ihm gut zu. Als er fertig war mit Sprechen, ließ er ihn einen schmutzverkrusteten Korb aufnehmen, der neben der Hütte stand. Hole mir aus dem Brunnen dort drüben Wasser, sagte er.

Hat er meine Frage nicht verstanden? dachte der Jüngling. Widerwillig nahm er den schmutzigen Korb und ging zum Brunnen. Das Wasser war längst heraus gerieselt, als er zurückkehrte. Geh noch einmal, sagte der Eremit. Der junge Mann folgte. Ein drittes und viertes Mal mußte er gehen. Der Alte prüft meinen Gehorsam, ehe er meine Frage beantwortet, dachte er. Immer wieder füllte er Wasser in den Korb, immer wieder rann es zu Boden. Nach dem zehnten Mal durfte er aufhören.

Sieh den Korb an, sagte der Eremit. Er ist ganz sauber, sagte der junge Mann. So geht es mit den Worten, die du liest und bedenkst, sagte der Eremit. Du kannst sie nicht festhalten, sie gehen durch dich hindurch und du hältst die Mühe für vergeblich. Aber ohne daß du es merkst, klären sie deine Gedanken und machen das Herz rein. 

Ganz ähnlich erging es der alten Frau, die im Gepräch war mit ihrem Pastor. Als dieser sie nach ihrer persönlichen Stille mit dem Herrn fragte, seufzte sie tief. „Jeden Morgen, Pastor. Aber mein Gedächtnis ist wie ein Sieb.“ „Nun, was versprechen Sie sich denn dann von Ihrer ‚Stillen Zeit’ am Morgen?“ wollte der Pastor wissen. „Mein Gedächtnis ist wie ein Sieb, aber durch das viele Wasser des Wortes Gottes ist es ein reingehaltenes Sieb,“ kam die Antwort.

Ich bin dankbar für solche Ehrlichkeit. Sie hilft mir, dazu zu stehen, dass auch ich mich oft abends kaum mehr erinnere, was ich morgens gelesen habe. Ist meine Zeit mit Jesus darum wertlos? Nie und nimmer! Sein Wort richtet aus, was Er will. Gelegentlich ist es ein mehrgängiges Buffet, oft eine normale Mahlzeit, manchmal eine Diät, immer aber frisches, himmlisches Quellwasser. Darauf sollte niemand verzichten!
* (www.bachlechner.com/katharina/index.php?option=com_content&view=article&id=24&Itemid=9)

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