Lange fiel es mir gar nicht auf. Eigentlich hätte ich es längst bemerkt haben sollen, ja, müssen! Wie konnte ich es nur
übersehen? Wie konnte ich es nicht gemerkt haben? Sie waren weg!
In meinem ersten Büro als Pastor schaute ich jeden Tag aus dem Fenster. Monatelang habe ich
mich an dem Blick erfreut. Im Winter, im Frühling und auch noch im Sommer. Dann fiel mir auf, dass das Gras immer länger wurde, dachte aber nicht so weit, mich zu fragen, woran das wohl lag. Die
Schafe waren weg! Tagaus, tagein habe ich sie grasen sehen, hab
beobachtet, wie sie durch den Schnee hindurch ihr Futter fanden oder wie
sie im Frühsommer geschoren wurden und zunächst wie ein nacktes
Häufchen Elend aussahen. Jetzt waren sie weg. Na ja, der Nachbar hat hoffentlich gewusst, wo sie waren. Darum brauchte ich mich nicht zu
kümmern.
Zunächst waren sie nur noch sporadisch mitgezogen; hatten andere Weide gefunden. Nicht mehr bei der Herde, nicht mehr die gute Weide, die der Gute Hirte selbst ausgesucht hatte, nicht mehr das frische, lebensspendende Quellwasser, nicht mehr die sicheren Plätze, wo man unter Seiner Obhut ruhen konnte - aber eben "andere" Weide. Weder nahrhaft, noch schmackhaft - anders eben. Und dann waren sie eines Tages ganz weggeblieben. Es gab so viel Neues zu sehen auf der anderen Wiese. Und die Herde schien sie ja eh nicht zu vermissen. Niemand drängte sie liebevoll, sich zur Herde zu halten. Niemand erinnerte sie, wie gut der Gute Hirte wirklich war und wie nötig zum Überleben. Ja, die Stimme des Guten Hirte, der ihren Namen kannte, rief sie in ihren Herzen. Aber der Herde fiel ihr Fehlen kaum auf.
Ich danke Jesus, meinem Herrn, dass Er mir immer wieder nachgegangen ist, wenn ich eigene Wege gegangen bin. Der Gute Hirte kümmert sich! Ich danke Ihm auch für seine Kinder, meine Mit-Schafe, die mir in Seinem Namen nachgegangen sind, die meine gefährlichen Alleingänge gemerkt, und sich aufgemacht haben, mich zur Herde zurückzubringen.
Dass der Gute Hirte uns doch die Augen öffne und uns erinnert an die, die eigene, gefährliche Wege gehen. Dass der Gute Hirte uns doch merken und fragen lässt, warum plötzlich etwas "anders" ist als bisher. Der Gute Hirte geht dem verlorenen Schaf nach. Aber Seine Füße, Lippen und Hände sind oftmals wir. Uns schickt Er hinterher, um Seine Liebe, Seine Geduld und Seine Fürsorge zum Ausdruck zu bringen. Wir sind es, die in Seinem Namen besuchen, telefonieren, Mails schreiben, praktische Hilfe leisten, ermahnen und ermutigen. Du und ich!
"Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen …" (Jakobus 1:27)
"Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!" (Matthäus 25:40)
"Brüder, wenn auch ein Mensch von einer Übertretung übereilt würde,
so helft ihr, die ihr geistlich seid, einem solchen im Geist der
Sanftmut wieder zurecht; und gib dabei acht auf dich selbst, dass du
nicht auch versucht wirst! Einer trage des anderen Lasten, und so sollt
ihr das Gesetz des Christus erfüllen!" (Galater 6:1-2)